„Wenn ich meinen Führerschein abgebe, kann ich mich eingraben“

Ihre Füße zittern, die Hände schweißnass und der Kopf knallrot- Aufregung pur bei Margot Seiffert-Riegel. Mehrere Fahrstunden hat die Pensionärin hinter sich und nun steht die Prüfung an. Eine ungewohnte Konstellation auch für Fahrlehrer und Prüfer, denn einen Führerschein besitzt die 85-Jährige schon seit mehreren Jahrzehnten. Doch die Behörden zweifeln an ihrer Fahrtauglichkeit. Die Seniorin muss zum TÜV-Fahreignungstest. Sie soll zeigen, dass sie alltäglichen Fahrten noch gut bewältigen kann und keine Gefahr für sich und andere Verkehrsteilnehmer ist. Rückblick: Margot Seiffert-Riegel ist leidenschaftliche Autofahrerin, doch jetzt muss die 85-jährige, die in Schuckenbaum – einem Örtchen mit rund 2000 Einwohner lebt – zur Fahrprüfung. Ihr droht der Verlust des Führerscheins nach mehr als 60 Jahren ohne größere Unfälle, wie sie betont. „Nur eine paar kleine Schrammen an Ein- und Ausfahrten, die Beulen sind fast unsichtbar. Wenn ich meinen Führerschein abgeben muss, kann ich mich hier eingraben.“

Auto fürs tägliche Leben unverzichtbar

Sie brauche ihr Auto, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne, für Einkäufe, Arzt- und Friseurbesuche, fürs Fitness-Studio und ihre Selbstständigkeit: „Hier im Ort gibt’s einfach nicht nichts mehr – kein Supermarkt, kein Restaurant, keinen Arzt. Der Führerschein ist meine Freiheit.“ Sie habe Angst vor der Unfreiheit, der Entmündigung, der Einschränkung ihres schon durch das Alter eingeschränkten Lebens.Doch die lippische Straßenverkehrsbehörde hat Zweifel an ihrer Fahrtauglichkeit. Grund: Im Juli vergangenen Jahres war die Senioren zum Essen in der Nachbarstadt Bad Salzuflen verabredet. „Beim Einparken bin ich gegen die Hintertür eines parkenden Autos geknallt“, erinnert sich die 85-Jährige. Sie habe sich nicht vom Unfallort entfernt. Als dann der Halter des Pkws gekommen sei, habe man das Problem unbürokratisch gelöst: „Er hat den Schaden auf rund 500 Euro geschätzt. Ich bin zur Bank, habe das Geld abgehoben und ihm übergeben.“ Doch „irgendwelche Gaffer“ hätten die Polizei benachrichtigt, die dann an der Unfallstelle erschienen sei. „Die Beamten haben meine Personalien aufgenommen und einen Brief der Straßenverkehrsbehörde angekündigt“, sagt die ehemalige Studiendirektorin, die Mathe und Physik unterrichtete. Das Schreiben habe sie Tage später erhalten, darin wird sie zu einem umfassenden „Fahreignungstest“ beim TÜV-Nord aufgefordert – für 737, 80 Euro. „Ich verstehe das nicht, da ich Ende 2018 vom Amtsarzt untersucht wurde und grünes Licht bekommen habe“, sagt die Witwe.

Mit Ohrenschützern keine Sirene gehört

Der Grund für den Besuch beim Amtsarzt war wieder eine Fahrt in die Salzestadt im März 2018. „Es war kalt und ich habe mir Ohrenschützer aufgesetzt“, erinnert sich die Seniorin. Irgendwann habe sie gemerkt, dass ein Polizei-Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene ihr folgt und sie zum Halt aufgefordert. „Ich konnte nicht gut hören, da meine Ohren eingepackt waren. Da auch der Fahrbahnrand verreist war, bin ich einige Minuten weitergefahren und habe an einer sicheren Stelle gehalten“, sagt Seiffert-Riegel. Die Polizei betont, dass sie eine Fahrtüchtigkeitsüberprüfung nur bei Autofahrern empfehle, die bei Verkehrskontrollen auffallen oder in Unfälle verwickelt seien. „Kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass der Fahrer eine Gefahr für sich selber und andere darstellt, ist sein Führerschein weg“, sagt Johannes Salmen Fachanwalt für Verkehrsrecht. Auf Grundlage des Gutachtens entscheidet die Führerscheinstelle, ob eine Fahrerlaubnis beim Fahrer verbleibt, ob Auflagen zu beachten sind oder durch Ordnungsverfügung die Fahrerlaubnis entzogen wird. „Wenn der Führerschein endgültig entzogen wird, könnten Betroffene vor den zuständigen Verwaltungsgerichten klagen“, sagt der Jurist. Verpflichtenden Untersuchungen für ältere Autofahrer nach dem Vorbild anderer EU-Staaten erteilt die Politik bisher jedoch regelmäßig eine Absage – und auch die Autoindustrie dürfte wenig Interesse an solchen Tests haben, denn sie könnte dadurch eine wichtige Kundengruppe verlieren. Für Margot Seiffert-Riegel gibt es keine Alternative zum Führerschein: „Ich werde wie eine Löwin um meine Fahrerlaubnis kämpfen, wenn’s sein muss auch vor Gericht. Ohne mein Auto kann ich hier nur noch auf den Tod warten“, sagt die 85-Jährige. Doch zuvor ist sie zu einem TÜV-Fahreignungstest bereit.

2000 Euro für beschränkte Fahrerlaubnis

Immer wieder wird ihr Termin wegen Corona verschoben – die 85-Jährige nimmt sieben Fahrstunden, unterzieht sich einem Seh-, Hör- und Reaktionstest. „Bis auf die altersbedingten Einschränkungen hatten die Ärzte keine Bedenken“, sagt Seiffert-Riegel. Mehr als 2000 Euro zahlt die Seniorin für die notwendigen Bescheinigungen, damit sie am vergangenen Dienstag um 10.30 Uhr endlich ihre Prüfung ablegen kann. „Ich war natürlich völlig aufgeregt und hatte zuvor schlaflose Nächste“, erinnert sich die 85-Jährige. Eine halbe Stunde sitzt sie mit Maske am Steuer: „Ich war sehr nervös, habe einige Fehler gemacht, weil es ja nicht mein Auto ist.“ Doch der Prüfer gibt eingeschränkt „grünes Licht.“ Sie darf ihren Führerschein behalten und nur im Umkreis von 25 Kilometern fahren, aber keine Autobahn nutzen und auch bei Dämmerung und Dunkelheit muss das Auto in der Garage bleiben. „Ich bin zufrieden, da ich sowieso nur Kurzstrecken fahre“, freut sich Margot Seiffert-Riegel. Und ihren verbeulten Kleinwagen will sie gegen ein neues Modell mit Navi und Einparkhilfe eintauschen.
Foto: Torben Gocke

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