Der Schnee schmilzt, die Schlitten sind wieder im Keller dafür drehen die Kleinen auf ihren Rädern im Hinterhof ihre Runden. Stolz steigt die sechsjährige Emma auf ihr neues Fahrrad. Das ist ebenso strahlend pink wie der Helm samt aufgesprühter Krone, der fest auf dem Kopf der Kleinen sitzt. „Ein echtes Prinzessesinnenrad“, sagt Emma und dreht eine Runde über den Hof. Ihre Mama Yvonne ist glücklich, aber wird hatten viel Glück, sagt die 35-Jährige: „Es war das letzte Rad, obwohl ich dieses Prinzessin-Style nicht mag, aber Emma hat sich sofort verliebt“
Das Mädchen hat Glück gehabt. Kinderräder sind in vielen Geschäften zurzeit Mangelware. Auch Erwachsene, die nach bestimmten Modellen oder Ersatzteilen suchen, müssen mit langen Lieferzeiten rechnen. Das Rad ist das Verkehrsmittel der Stunde – und ein echter Krisengewinner während der Corona-Pandemie. Dies bestätigt Fahrrad-Händler Frank Neuwohner in Detmold.

Vor dem Schaufenster seines Ladens sind riesige Kartons aufgestapelt, denn die neuen Fahrradmodelle werden schon sehnsüchtig erwartet, sofort ausgepackt und zur Abholung oder Auslieferung bereitgestellt. Eine paar Schritte weiter sind gebrauchte Zweiräder aufgestellt, auf den Zettelchen am Lenkrad stehen die Namen der Abholer. „So vermeiden wir den Kontakt“, sagt Neuwohner.
Die morgendliche Ruhe im Fahrradgeschäft trügt. Dicht an dicht schmiegen sich die Fahrräder aneinander, die Regale sind gut gefüllt mit Zubehör, von Klingeln bis zu Schlössern und der Hund Sally döst friedlich vorm Kassentresen. Wer hier einkaufen möchte, hat derzeit Pech, das Geschäft hat coronabedingt geschlossen. „Aber wir bieten unsere Fahrräder online an und die Werkstatt hat geöffnet, da wir dürfen reparieren“, sagt der 57-Jährige. Die Reparatur ist derzeit auch die einzige Möglichkeit für Radfahrer, um sich auf die Sattel zu schwingen, denn neue Räder sind derzeit eher Mangelware. „Die Lieferketten sind gerissen“, sagt Neuwohner. Grund: Das Fahrrad ist längst ein Produkt, das den Gesetzmäßigkeiten der Globalisierung gehorcht. „Vieles wird im asiatischen Raum produziert und nach Europa transportiert.“ Ob Reifen oder Schaltung, ob Standard oder High-Tech, ob billig oder sündhaft teuer: „Irgendwo stehen Container voll mit Fahrrad-Komponenten und kommen nicht weiter.“
E-Bikes liegen nach wie vor im Trend, bestätigt Fahrradhändler Neuwohner während des Pressetermins. „90 Prozent unserer Kunden kaufen ein E-Bike“, sagt Neuwohner – da schrecke auch der Preis von durchschnittlich 3000 Euro nicht. Nach oben gebe es keine Grenzen, denn die Digitalisierung macht auch vor E-Bikes nicht Halt. Mit neuen Ausstattungskomponenten erhalten Radler beispielsweise die Möglichkeit, das Handy via Bluetooth mit dem Rad zu koppeln und damit zu navigieren, über ein Headset zu telefonieren, Musik zu hören und einige Anbieter hätten sogar der Notruf-Service im Angebot, der nach einem Unfall betätigt werden. Zudem können Gesundheits-Apps direkt mit dem Rad vernetzt werden. „Die Bedienung erfolgt dann wie im Auto ohne die Hände vom Lenker nehmen zu müssen“, erklärt Neuwohner.
Mein Blick fällt auf das „Bike-Fitting-System“, das das Rad und all seine Komponenten so einstellen soll, dass es perfekt zu den individuellen Körpermaßen passt. „Lenkerhöhe, Sattel oder Pedale – das Fahrrad muss zum Körper passen“, sagt Neuwohner. Egal ob Pendler, Straßenradfahrer, Mountainbiker oder Gelegenheitsfahrer jeder könne von einer ergonomischen Radanpassung profitieren, bevor er ein Rad kaufe, meint Neuwohner, der täglich rund 50 Kilometer auf seinem Rad zurücklegt – diese ist die Strecke von seinem Zuhause ins Geschäft und zurück.Wer trotz digitaler Vermessung kein Rad findet, zahlt 80 Euro. „Das ist keine Spielerei, sondern ein Weg zur möglichst ergonomischen Einheit zwischen Rad und Radler“, betont Neuwohner, der das Geschäft in dritter Generation führt und sein Sohn Sven steht auch schon bereit, um den Laden zu übernehmen. Die Kunden seien derzeit an allen Radmodellen interessiert, doch aufgrund des bundesweit gestiegenen Interesses kämen die Hersteller nicht hinterher. „So sind all unsere Lastenfahrräder ausverkauft und auch die Räder, die wir in den kommenden drei Monate erhalten, sind schon verkauft“, freut sich Neuwohner. Durch den Nachfrage-Boom habe er nicht nur seine Verkaufsräume vergrößert, sondern suche händeringend nach weiteren Mitarbeitern. „Ich würde sofort Fahrrad-Mechatroniker und Verkäufer einstellen“, sagt der 57-Jährige. Mit dem gestiegenen Interesse werde auch wieder offensichtlich, dass es an sicheren und wetterfesten Abstellplätzen für Fahrräder in der Detmolder Innenstadt fehle. „Wir brauchen unbedingt Fahrrad-Boxen oder ein City-Zweirad-Parkhaus, neben dem Bau am Bahnhof, um die teuren Gefährte sicher abzustellen“, betont Neuwohner. Hier sei die Stadt gefordert. Nach unbestätigten Informationen soll in diesem Punkt nach Plänen der Stadt schnell Abhilfe geschaffen werden und in der Innenstadt sichere und wetterfeste Abstellmöglichkeiten für Radfahrer geschaffen werden.

Zustimmung von Manfred Wiehenkamp, Vorsitzender des ADFC-Lippe: „Die Verantwortlichen könnte auch einzelnen leerstehenden Geschäfte in der Detmolder Innenstadt umbauen, um Fahrräder sicher unterstellen.“ Zudem müsse der Einzelhandel seinen Widerstand gegen Zweiräder in der Innenstadt aufgeben, denn die brächten auf lange Sicht mehr Umsatz, als die Autofahrer, die die Stadt verpesteten. „Es muss halt mal neues Denken in die Köpfe, die mit ihren Ideen in den vergangenen Jahrzehnten steckten“, sagt Wiehenkamp. Nachdem die Residenzstadt, als zweite lippische Stadt nach Lemgo, nun auch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW sei, müsse endlich mehr Platz für Radfahrende geschaffen werden. Schnelle Lösungen so genannte Pop-Up-Radwege seien derzeit in den lippischen Städten und Kommunen noch nicht gewollt. „Was wir auf jeden Fall brauchen, ist mehr Platz für mehrspurige Fahrräder, Transport- und Lastenräder sowie Räder mit Anhängern.“ Auch der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) spricht sich dafür aus, „in eine einladende und sichere Fahrradinfrastruktur zu investieren“. „Durch Corona ist das Fahrrad das Verkehrsmittel der Stunde und mit dem Virus kam auch die neue Lust auf das Rad“, sagt David Eisenberger vom ZIV. Das merke der Verband eben nicht nur auf den Straßen, sondern auch beim Ansturm auf die Fahrradläden. „Manche schwingen sich aufs Rad, um dem Heimkoller zu entkommen und in Form zu bleiben“, sagt Tobias Hempelmann vom Vorstand Verband des Deutschen Zweiradhandels und selbst Radhändler in Lage. Andere schreckten die überfüllten Busse und Bahnen ab. „Deswegen steigen momentan auch Leute aufs Fahrrad auf oder auch um, die vielleicht vorher mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit gefahren sind“, sagt Hempelmann, der auch Ausschau nach zusätzlichen Mitarbeitern hält.
Fotos: Bernhard Preuss