Ein Schöffe am Detmolder Landgericht tippt während einer laufenden Zeugenvernehmung auf seinem privaten Handy. Darf er das? Darüber müssen jetzt die Berufsrichter entscheiden und eine Antwort auf einen skurrilen Vorgang um einen Befangenheitsantrag finden, der einen laufenden Strafprozess zu sprengen droht. Auch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) hat sich bereits mit dieser Thematik beschäftigt. Eigentlich sollte die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Karsten Niemeyer entscheiden, ob ein 40-jähriger Mann aus Sachsen in Sicherungsverwahrung kommt.
Er ist angeklagt, weil er im Juli vergangenen Jahres eine Bekannte in ihrem Hotelzimmer im Liemer Hof in Lemgo sexuell belästigt haben soll. Diese Tat allein wäre noch kein Grund für eine Sicherungsverwahrung. Doch der Angeklagte, der derzeit in U-Haft sitzt, hat eine langes Vorstrafenregister – er war bereits 2002 wegen Vergewaltigung und Kindesmissbrauchs sowie 2009 wegen räuberischer Erpressung verurteilt worden und hat bisher zwölf Lebensjahre hinter Gitter verbracht. Die Detmolder Staatsanwaltschaft sieht im Angeklagten eine Gefahr für die Allgemeinheit und will deshalb die Sicherungsverwahrung.
Anwalt unterstellt Schöffen wenig Interessse am Prozess
Doch während der Aussage des Opfers, meldet sich plötzlich Verteidiger Heiko Urbanzyk zu Wort, er müsse einen unaufschiebbaren Antrag stellen; denn er habe im Gerichtssaal etwas gehört und beobachtet. Gegen 11.45 Uhr habe er bemerkt, dass ein Schöffenrichter an seinem Handy, das zuvor vibriert habe, „rumfummelt“. „Der Schöffe hat an seinem Mobiltelefon herumgetippt und sekundenlang aufs Display geschaut, obwohl für meinen Mandanten sehr viel auf dem Spiel steht“, kritisiert Anwalt Urbanzyk. Er kombinierte daraus, dass der Laienrichter zunächst einen Anruf empfangen und dann nachgeschaut habe, wer ihn anrufe. „Ihm ist es offenbar wichtiger private Dinge zu regeln“, sagt der Verteidiger aus Coesfeld. Sein Mandant, der bis dato im Prozess von seinem Schweigerecht Gebrauch machte, habe Grund zur Annahme, „dass der abgelehnte Schöffenrichter ihm nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber stehe.“ Die Handynutzung des Schöffen während einer laufenden Hauptverhandlung gebe Anlass zu der Befürchtung, dieser habe sich mangels uneingeschränkten Interesses bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt. „Ich muss meinen Befangenheitsantrag bis Freitag begründen und in schriftlicher Form einreichen. Anschließend müssen die Berufsrichter der Kammer über den Antrag entscheiden“, so der 41-jährige Urbanzyk.
Bundesgerichthof hebt Urteil wegen
Handy-Nutzung einer Richterin auf
Jurist Urbanzyk will seinen Antrag auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs gestützt (Aktenzeichen: 2 StR 228/14). Der 2. Strafsenat unter dem damaligen Vorsitzenden Richter Thomas Fischer hatte Hafturteile des Landgerichts Frankfurt am Main wegen gefährlicher Körperverletzung aufgehoben, da eine beisitzende Richterin in dem Verfahren als befangen anzusehen war. Diese hatte bei einer Zeugenvernehmung mehrfach ihr Handy bedient und zugegeben, einen stummen Anruf von zu Hause mit einer vorgefertigten SMS „Bin in Sitzung“ beantwortet zu haben. Auch habe sie „binnen Sekunden“ eine dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung ihrer Kinder beantwortet. Laut BGH sei die Richterin gezielt abgelenkt gewesen und habe mit ihrer vorgefertigten SMS auch gezeigt, „dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen.“
Beim Prozess in Detmold handele es nicht um einen Berufsrichter, sondern einen Schöffen, der auch nicht den Handyanruf nicht angenommen, sagt Landgerichtssprecher Dr. Wolfram Wormuth. Den Befangenheitsantrag stufte er „Verteidigergeplänkel“ ein. Der Prozess wird am 28. April fortgesetzt – bis dahin sollen Gutachter und Verteidiger auch weitere Akten einsehen dürfen.