Handgreiflichkeiten und Beleidigungen zwischen den Insassen gehören zum Gefängnisalltag, doch eine Auseinandersetzung im Juni 2019 während des Sommerfestes der JVA-Detmold beschäftigte die Gerichte mehr als zwei Jahre und endete vor dem Detmolder Landgericht mit einem Freispruch.
Geldstrafe am Amtsgericht
Ein 34-jähriger Insasse, der eine siebenjährige Haftstrafe wegen versuchten Totschlags absitzt, soll sich mit dem verurteilten Mörder am Grill in die Haare gekriegt haben. Dabei soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein – die JVA erstattete Strafanzeige gegen den 34-Jährigen, der beim Kampf um Wurst und Grillzange versucht haben soll, seinen Kontrahenten mit einem Faustschlag niederzustrecken. Das Amtsgericht verurteilte den Häftling nach drei Verhandlungstagen im vergangenen Jahr wegen versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 750 Euro (50 Tagessätze à 15 Euro). Dagegen legte der 34-jährige Pharmazeutisch-technische Assistent nun mit Erfolg Berufung ein und beteuerte immer wieder seine Unschuld: „Ich habe nie zugeschlagen, sondern wurde geschlagen.“
Vor der Berufungsverhandlung tauchen Bilder von Verletzungen auf
Vor Prozessbeginn am Landgericht waren Fotos von blauen Flecken und kleinen Kratzern vom Arm, Bauch und Bein des 34-jährigen Angeklagten aufgetaucht, die herbeigerufenen Sanitäter nach dem Zwist gemacht hatten. Diese Aufnahmen dienten als Beweis dafür, dass nicht der Angeklagte, sondern sein Kontrahent, gegen den niemals ermittelt wurde, zugeschlagen haben soll. Anhand der Fotos konnte auch der eigens aus Münster einbestellte Rechtsmediziner erklären, dass der 34-Jährige Opfer des Grill-Übergriffs gewesen sein müsse. Während der vorangegangenen vier Prozesstagen hatte das Gericht aktuelle und ehemalige JVA-Insassen als Zeugen des Vorfalls gehört. Doch niemand konnte oder wollte sich erinnern und auch das mutmaßliche Opfer verwies immer wieder Erinnerungslücken. „Mein Vorschlag den Prozess einzustellen, wurde immer abgelehnt, da die Staatsanwaltschaft in diesem Fall ein besonderes und öffentliches Interesse gesehen hat“, freut sich Verteidiger Roman von Alvensleben nach dem Freispruch.
EInführung in Farbenlehre von Hämatomen
Zuvor mussten Rechtsanwalt und allen anderen Prozessbeteiligten ein 15-minütigen Vortrag zum Thema Farbenlehre von Hämatomen, die der Rechtsmediziner Dr. Bernd Karger hielt, über sich ergehen lassen. „Die Hämatome können bräunliche, grünliche und gelbliche Farben annehmen, je nach Dauer und Heftigkeit der Verletzungen“, so Dr. Karger. In dem speziellen Fall seien die Hämatome am Körper des Angeklagten, ganz klar auf externe Faustschläge zurückzuführen.
Messerangriff wegen Unterwäschen-Video
Ein kleiner Silberstreif im Alltag des 34-Jährigen, der gegenwärtig eine siebenjährige Haftstrafe wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung absitzt. Das Detmolder Landgericht hatte ihn im Juli 2016 verurteilt, weil er mit einem Messer ins Auge seiner Schwägerin gestochen hatte. Als diese zu Boden fiel, rammte er die Waffe noch vier Mal in den Oberkörper seines Opfers. Die Frau ist seit dem Angriff auf dem Auge erblindet und leidet an einer Lähmung der linken Körperhälfte. Während des damaligen Strafprozesses hatte der syrischstämmige Angeklagte, der seit 1995 mit seiner Familie in Deutschland lebt, als Tatmotiv Mobbing und ein Unterwäsche-Video genannt. Die achtköpfige Familie habe in Detmold unter einem Dach gelebt. Immer wieder sei es zu Streitigkeiten zwischen ihm und seiner Schwägerin gekommen. „Sie hat mich vor der Familie wegen meiner Behinderung am Bein immer wieder ausgelacht und Witze gemacht“, sagte der damals 29-Jährige. Wegen des Zwistes sei er mit seiner Frau nach Melle gezogen.
“ Ich wollte mich rächen und den Film ins Internet stellen.“
Angeklagter.
Doch vor dem Auszug habe er heimlich die Unterwäsche der Schwägerin gefilmt – dies sei für eine muslimische Frau eine große Schande, denn nur der eigene Mann dürfe diese Wäsche sehen. „Ich wollte mich rächen und den Film ins Internet stellen, doch am Ende habe ich mich nicht getraut“, sagte der Angeklagte. Das Video habe er auf seinem Handy gespeichert, das der Schwägerin in die Hand gefallen sei. Sie habe während des Streits im Dezember gedroht, die Aufnahmen seiner Mutter und Frau zu zeigen. „Ich habe sie angefleht und ihr Geld angeboten, damit sie mich vor der Familie nicht blamiert“, erinnert sich der Angeklagte. Doch sie sei nicht auf sein Angebot eingegangen und habe nur gelacht – dann setze seine Erinnerung aus.
Foto: Kamisli