Pünktlich um 18 Uhr hatte Petrus doch noch Gnade mit den Anwohnern, Hausbesitzern und Gewerbetreibenden an der Krummen Straße – der Regen hörte auf und unter den provisorischen Regenschutz, den Conny und Rüdiger Krentz an diesem Freitag aufgestellt hatten, wollte sich keiner mehr stellen. Das Ehepaar, das seit Jahren an der Krummen Straße lebt, hatte zu einem Meinungsaustausch auf offener Straße der sogenannten „Aktionsfläche“ geladen. Thema: Der Verkehrsversuch an der Exter- und Krummen Straße, der seit dem 26. Juli läuft und noch bis 18. Oktober dauern soll – mehr als 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung. „Wir möchten mit allen interessierten Betroffenen über den Verkehrsversuch diskutieren, mit dem Ziel, gegenüber der Stadt geschlossen aufzutreten“, sagte Krentz zu Begrüßung. Er musste auch gar nicht lange auf Wortmeldungen warten, denn es entbrannte eine Diskussionen, in der bekannte Argumente von Gegnern, Befürwortern, aber auch unentschiedene Stimmen, die dem Verkehrsversuch eine Chance geben wollen, zu hören waren. Wer einen verbalen Proteststurm erwartet hatte, wurde enttäuscht.

Deutliche Kritik, die auch die Zustimmung fast aller Teilnehmer fand, gab es an den Gastronomen an der Exter- und Krummen Straße, die durch die Ausweitung des Außenangebots schon vor dem Verkehrsversuch, einen Teil der Anwohner- und Kundenparkplätze „unter ihre Nägel“ gerissen hätten. „Es geht ja hier in der Straße nicht nur um die Gastronomen, sondern auch um die Anwohner und die anderen Gewerbetreibenden. Daher finde ich solche Extrawürste unfair – auch wenn sie anscheinend vom Bürgermeister und der Verwaltung abgesegnet wurden“, kritisierte eine Anwohnerin. Vielfach kritisiert wurden auch der Sandkasten samt „komisch-bunter Holzmöbel“, da sie überhaupt nicht ins Straßenbild passten. „Wir haben gleich einen Spielplatz `Unter der Wehme` um die Ecke. Vielleicht hätte es ein Hinweisschild getan“, merkte eine weitere Anwohnerin an. Andere Rednerinnen und Redner betonten immer wieder, dass es sich um einen Versuch handele und nach drei Monaten Bilanz gezogen werde: „Wir sollte uns jetzt nicht gegenseitig zerfleischen und die Auswertung abwarten. Es ist doch positiv, dass überhaupt mal etwas geschieht, um die Attraktivität der Innenstadt zu erhöhen.“ Ein Redner kritisiert den Zeitpunkt des Verkehrsversuchs „als etwas unglücklich“ – die Geschäftsleute und Anwohner seien noch traumatisiert von den Coronamaßnahmen, vielleicht hätte eine Verschiebung des Versuchs und damit auch eine bessere Informationspolitik gegenüber den Betroffenen dem Projekt einfach gut getan und nicht so viele Emotionen geschürt, so ein Geschäftsmann.
„Die Stadt muss ehrlich sein und uns gegenüber mit offen Karten spielen.“
Forderungen von Anwohnern und Gewerbetreibenden
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten herrschte unter den Teilnehmer in einem Punkt Konsens: „Die Stadt muss ehrlich sein und uns gegenüber mit offenen Karten spielen. Denn nicht nur die Verwaltung und der Bürgermeister sind Detmold, sondern wir alle, die seit Jahren und Jahrzehnten hier unser Gewerbe und unseren Lebensmittelpunkt haben.“
Nach rund einer Stunde Diskussion wurden unter der Moderation von Rüdiger Krentz gemeinsame Punkte formuliert, die gegenüber Stadt beim nächsten Treffen, das nach Angaben einiger Teilnehmer am 9. September stattfinden soll, zur Sprache kommen sollen. Dazu gehören neben dem Sandkasten, der zu kleine Wendehammer, der unübersichtliche, verwirrende Schilderwald sowie die Ablehnung aus der Exter- und Krummen Straße eine Fußgängerzone zu machen. „Die Kö ist auch voll befahrbar und lebt davon“, sagte eine Teilnehmerin und zeigte auf den Aufsteller mit der Aufschrift: „Lipper haben keine Kö. Aber die Krumme Straße in Detmold.“

Bereits vor vier Wochen, kurz nach dem Start des Verkehrsversuchs, hatten 20 Gewerbetriebende sowie sechs Hausbesitzer und Anlieger eine schritfliche Stellungnahme von Buchhändler Albert Lange (Kafka &Co.) unterzeichnet, in der unter anderem eine vorausschauende Stadtplanung, ein elektrischer Kleinbus-Shuttle von Parkplätzen außerhalb der City in die Innenstadt, eine Rückbau der Außengastronomie in den Winterhalbjahren sowie ein kostenloser Busverkehr in die Innenstadt am Samstagen und vieles, vieles mehr gefordert wird. Doch im Vorwort zu den einzelnen Ideen vermuten die Unterzeichner, dass es bei dem Verkehrsversuch um die „unerklärte Agenda von Stadt und Verwaltung“ gehe, den privaten Autoverkehr sukzessive völlig aus den Straßen zu verbannen.
Wer das so möchte, sollte alles offen mit der Stadtgesellschaft kommunizieren und Bürgerbeteiligung nicht nur simulieren, heißt es in dem Schriftstück. Nach dem kommunikativen Desaster im Vorfeld des Verkehrsversuchs habe die Stadt die Bürgerschaft nun aufgefordert, digital Stellung zu nehmen und Anregungen zu geben – wieder auf intransparenten Weise, so die Unterzeichner. Die gewünschte digitale „Bürgerbeteiligung“ sei für andere Interessierte nicht einsehbar und verbleibe somit in der Deutungs- und Definitionshoheit von Stadt und Verwaltung.
Hier treffen sich die Forderungen beider Initiativen – also viel Diskussionsstoff fürs nächste Treffen der Gewerbetreibenden, Anwohnerinnen, Anwohner sowie Hauseigentümerinnen und Hausbesitzer mit Stadt und Verwaltung.
Fotos: Erol Kamisli